Tag der kommunalen Jobcenter 2018
Herausforderungen meistern – Digitalisierung voranbringen
26./27. November 2018
Ellington Hotel Berlin, Nürnberger Straße 50 - 55, 10789 Berlin
Tagungsbericht
Die knapp 300 Teilnehmer des Tags der kommunalen Jobcenter 2018 zeigten erneut das große Interesse der Fachöffentlichkeit an den behandelten Themenstellungen und den zahlreichen wichtigen fachlichen Impulsen für die Arbeit der Jobcenter, aber auch der Kommunen insgesamt.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Markus Lewe, eröffnete die Tagung. Da „seine“ Stadt Münster seit 2012 ein kommunales Jobcenter hat, ergab sich erstmals die Gelegenheit, dass ein Städtetagspräsident seine eigenen Erfahrungen aus der kommunalen Alleinverantwortung für das SGB II einfließen lassen konnte. So berichtete Herr Lewe von der erfolgreichen Ausrichtung seines Jobcenters auf die Belange der Bürger und schilderte die konkreten Schritte bei der Digitalisierung.
Die erste Diskussionsrunde mit Dr. Stefanie Büchner, Universität Bielefeld, und den Bundestagsabgeordneten Saskia Esken und Maik Beermann eröffnete Einblicke in die Arbeit des Bundestagsausschusses Digitale Agenda. MdB Esken berichtete von den aktuellen Beratungen zur 5G-Versteigerung, von denen sie gerade zur Tagung gekommen sei. Sie wies auch auf die große Bedeutung und den Wert des hohen Datenschutzstandards in Deutschland hin. MdB Beermann zeigte das breite Spektrum der Ausschussthemen auf. Aus dem Publikum angesprochen auf den fortschrittlichen Digitalisierungsstand von Estland zum Beispiel machte Beermann deutlich, dass angesichts der dort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend fehlenden Telefonnetze auch die Ausgangslage vollständig anders gewesen ist.
Frau Dr. Büchner zeigte auf, dass die Erwartungen an Digitalisierung nicht auf der Grundlage von Versprechungen einzelner IT-Anbieter entwickelt werden sollten, sondern im steten Abgleich zwischen realistischen Möglichkeiten und dem hierfür erforderlichen Aufwand. Beispielsweise sind Bitcoin-Ansätze mit einem hohen Energieverbrauch verbunden und deshalb keinesfalls für eine breite Verwendung geeignet.
Staatssekretärin Leonie Gebers, die für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Hauptrede übernahm, würdigte den Tag der kommunalen Jobcenter als wichtige Fachveranstaltung für das SGB II. Sie stellte die Arbeiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Arbeitswelt im digitalen Wandel dar. Um im Rahmen der anstehenden Veränderungen durch die Digitalisierung Sorgen und Unsicherheiten aufzunehmen und zu bewältigen, hat das Ministerium eine eigene Abteilung gegründet. Es gelte, für Chancen und Schutz im Wandel zu sorgen. Ausführlich ging sie auf die aktuellen Gesetzgebungsvorhaben Teilhabechancengesetz und Qualifizierungschancengesetz ein. Mit Blick auf die gegenwärtige Hartz IV-Debatte bekräftigte sie, dass Bundesminister Heil keinen grundlegenden Veränderungsbedarf am SGB II sehe und Ansätze bedingungsloser Leistungsgewährung ablehne.
Herzstück der Tagung waren sodann die neun Fachforen, in denen die Tagungsteilnehmer Impulse zu verschiedenen Themen aufnehmen und dazu in den Austausch treten konnten. „Was macht die Digitalisierung mit den Jobcentern? – Was machen die Jobcenter mit der Digitalisierung?“ wurde in einem Fachforum diskutiert. Die technischen Möglichkeiten und die juristischen Grenzen beim Einsatz künstlicher Intelligenz waren Gegenstand eines weiteren Fachforums mit wissenschaftlichem Input aus Informatik und Rechtswissenschaft.
Wie ein Jobcenter selbst eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln kann und welche Schritte hierfür erforderlich sind, war gleichfalls Thema eines Forums. Deutlich wurde dabei, dass ein Dokumentenmanagementsystem nur ein Baustein einer solchen Strategie darstellen kann. Zwei Fachforen beschäftigten sich mit konkreten Digitalisierungsansätzen aus mehreren Jobcentern. Die Bedeutung autonomer Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch die Abhängigkeit von externer IT-Kompetenz trat dabei zu Tage.
Der Präsident der französischen privaten Initiative „Bayes-Impact“ schilderte, wie mit Hilfe von Algorithmen arbeitslosen Menschen in eindrucksvoller Weise geholfen werden kann. Eine kleine Gruppe von international erfahrenen IT-Experten, die seit einigen Jahren gemeinnützige Ziele verfolgen, hat eine Kommunikationsplattform geschaffen, die von Arbeitslosen in Frankreich per Computer oder Smartphone genutzt werden kann. Eine Vielzahl positiver Rückmeldungen und persönlicher Erfolge weist auf die Wirksamkeit hin, die die vorhandenen öffentlichen Hilfesysteme in Frankreich ergänzt.
Aus der gemeinsamen Benchlearning-Arbeit der kommunalen Jobcenter wurden Verbesserungsmöglichkeiten für die Qualität der Leistungssachbearbeitung in Jobcentern vorgestellt. Hilfreiche Ansätze und positive Erfahrungen Einzelner können auf diese Weise in anderen Jobcentern übernommen werden. Ebenfalls aus dem Benchlearning-Projekt wurden vergleichsringübergreifend gewonnene Impulse zu Guter Führung dargestellt und erörtert.
Ein Fachforum widmete sich den bestehenden Herausforderungen für alle Jobcenter, gutes Personal zu gewinnen und zu halten. In Anbetracht der fordernden Arbeit im Jobcenter und mit Blick auf zunehmenden Fachkräftemangel sind die Jobcenter auf innovative Ansätze angewiesen, um auf Dauer erfolgreich arbeiten zu können. Besonders erfolgreich war die Erprobung eines spezifischen Angestelltenlehrgangs im Kreis Recklinghausen. Trotz hoher Anforderungen vor und während der zweijährigen Ausbildungszeit gab es eine so große Zahl von Interessenten, dass von den beiden Gruppen der ausgewählten Teilnehmer niemand den Kurs abgebrochen oder eine der zahlreichen Prüfungen nicht bestanden hätte. Die Ausbildung ist sehr praxisnah ausgestaltet, da schon nach sechs Monaten jeweils mehrere Tage pro Woche die Teilnehmer im Jobcenter mitarbeiten können. Dadurch gewinnen sie frühzeitig wertvolle eigene Erfahrungen und können zur Entlastung der übrigen Mitarbeiter beitragen.
Im gleichen Fachforum wurde daneben ein Kooperationsansatz einer Reihe von benachbarten Jobcentern vorgestellt. Dadurch sind größere Gestaltungsmöglichkeiten für bedarfsgerechte Weiterbildungen und eine fachliche Vernetzung der Spezialisten in den zusammenarbeitenden Jobcentern erreicht worden. Die Analyse des Bedarfs und die Abstimmung der zeitlichen Abläufe ermöglicht gebündeltes Handeln. Im Idealfall können so die Bildungsangebote der vorhandenen Bildungsträger verbessert und auf die bestehenden Bedarfe besser abgestimmt werden. Zugleich haben die Erfahrungen gezeigt, dass Sorgen vor der Verdrängung vorhandener Bildungsträger zu Missverständnissen führen kann. Auch die Ausgestaltung der Zusammenarbeit und der praktischen Abwicklung stellt eine große Herausforderung dar.
Für die kommunalen Jobcenter von großer Bedeutung sind auch die konkreten Ansätze der kommunalen IT-Dienstleister. Deshalb stand am zweiten Tag der Konferenz eine Podiumsdiskussion mit den Herstellern der IT-Fachverfahren im Mittelpunkt. Schnittstellen, die eine Übernahme und Weitergabe von Daten in und aus dem Fachverfahren ermöglichen, sind eine zentrale Anforderung der kommunalen Jobcenter an ihre Hersteller. Beispielsweise soll die Eingabe von Daten durch den Bürger mittels eines Bürgerportals für die Weiterverwendung in den Fachverfahren genutzt werden können. Alle vier vertretenen IT-Verfahrenshersteller bekräftigen ihre technischen Möglichkeiten zum Bedienen von Schnittstellen. Zugleich wiesen sie darauf hin, dass derzeit gleichwohl keine Anschlussfähigkeit und keine verlässliche Standardisierung von Schnittstellen gewährleistet sind. Im Gegenteil gebe es von Seiten des Bundes in verschiedenen Fachbereichen sehr unterschiedliche Ansätze für Datenaustausche. Deshalb müssten sehr vielfältige Standards umgesetzt werden. Dies habe auch zur Folge, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten Veränderungen von den IT-Herstellern umzusetzen sind, die einen hohen Aufwand für die Kommunen als Nutzer nach sich ziehen. Aus dem Fachpublikum wurde daraufhin angeregt, selbst eine Standardisierung zu erarbeiten. Anknüpfungspunkt könnte die erfolgreiche Abstimmung zwischen kommunalen Jobcentern, IT-Herstellern und der BA-Statistik für die Datenübermittlung zur statistischen Berichterstattung zum SGB II sein. Seit 2004 gibt es hier eine enge und funktionierende Abstimmung. Einigkeit bestand unter den Experten, dass in 30 Jahren kein Papier mehr in den kommunalen Jobcentern genutzt werde. Zugleich wiesen die IT-Experten auf das Risiko hin, dass selbst entwickelte Standards dann auf Bundesebene nicht anerkannt werden.
Abschließend zog die Beigeordnete des Deutschen Landkreistages, Dr. Irene Vorholz, ein ausgesprochen positives Tagungsfazit. Sie griff dabei die aktuellen politischen Diskussionen über grundlegende Veränderungen am SGB II auf. Ihre Einschätzung, dass eine Abschaffung des SGB II-Grundsatzes „Fordern und Fördern“ keine gesellschaftliche Akzeptanz finden könne, teilten die Teilnehmer einhellig. Vorholz forderte Politik und Medien auf, die hervorragenden Leistungen der Mitarbeiter in den Jobcentern wahrzunehmen und auch öffentlich stärker zu würdigen. Sie bat alle Teilnehmer, den herzlichen Dank für die gute Arbeit und das hohe Engagement in den eigenen Jobcentern mit nach Hause zu nehmen.